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Ostermarsch Miesbach, 19. April 2025

Wir brauchen eine andere Sprache

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!

Lassen Sie mich kurz die derzeitige Situation in unserer Sprachlandschaft beschreiben: An der Grenze Europas gibt es eine Spezialoperation; man muss sich deshalb keine Sorgen machen, es geht nur darum, dass ein jahrhundertealtes Imperium seine Grenzen abrundet. Diese militärische Aktion verbraucht materielles und menschliches Material, das sich aber sofort wieder ersetzen lässt. Die Bevölkerung erschreckt man nicht durch Fakten, sie wird darüber in  ideologiefreien geschützten Medien informiert, dass es sich dabei um leider unvermeidliche alternativlose Kollateralschäden handelt, weil die Feinde uneinsichtige alte Nazis sind. Und wer möchte schon, dass diese triumphieren!

Ein Problem gibt es aber: Benachbarte Staaten zeigen eine angeblich ebenfalls alternativlose Überreaktion, die dazu führt, dass Begriffe auftauchen, die man schon lange als überflüssig über Bord geworfen hat. Aufrüstung, Kriegstüchtigkeit, Rüstungswirtschaft, Kampfbereitschaft, Schutzräume, gerechter Krieg usw. Man spricht sogar von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und völkerrechtswidrigen Aktionen. Ihr werdet mir zustimmen, dass solche Wörter Stimmungen erzeugen – entsprechende Emotionen sind unvermeidbar.

Andererseits sind Emotionen schon auch nützlich – hören wir doch mal genau auf den aktuellen Sprachgebrauch in unserem Land: Remigration, abweisen, entsorgen, Zustrombegrenzung, Biodeutsche – keinerlei Scham hält davor zurück, in die Mottenkiste zu greifen, in der man so schöne Begriffe wie Umvolkung und deutsche Leitkultur findet. Es darf auch primitiv werden – der „Vogelschiss“ in unserer Geschichte erhält viel Beifall.

Sprache ist ein lebendiges Wesen – sie hört zu und liest, nimmt auf, verschiebt, erweitert, entrümpelt, schreit laut hinaus und flüstert ängstlich. Und sie freut sich immer über ihre Verbreitung und breit gestreuten Applaus. Wir sollten sie sehr sorgfältig überwachen und füttern – damit wir uns nicht vor der ganzen Menschheitsfamilie schämen müssen.

Inge Jooß, Integrationsreferentin der Stadt Miesbach